Kaiserreich

Bülow, Bernhard Fürst v.: Denkwürdigkeiten, Berlin 1930. (4 Bde.)

Bernhard v. Bülow (1849-1929) war von 1894 bis 1897 deutscher Botschafter in Rom, anschließend Staatssekretär des Auswärtigen und von 1900 bis 1909 Reichskanzler. Seinen Aufstieg verdankte er wesentlich der Freundschaft Philipp Eulenburgs, der Bülow der Aufmerksamkeit Kaiser Wilhelms II. empfahl. Schon zu Lebzeiten galt Bülow daher als Politiker mit bemerkenswerter Fähigkeit, “oben” zu schwimmen (siehe dazu).

Die Denkwürdigkeiten-Literatur, die manchem prominenten Zeitgenossen dazu diente, die eigene Sicht der Dinge darzustellen bzw. sich vor der Nachwelt zu rechtfertigen, ist ein Spezifikum der zweiten Hälfte des langen 19. Jahrhunderts. Niemand hat dieses Instrument so offen benutzt wie Bülow. Im Vorwort des Herausgebers heißt es: “Der Subjektivismus, von dem die ‘Denkwürdigkeiten’ des Fürsten getragen sind, strebt vor allem und über alles hinweg nach absoluter Richtigkeit der Darstellung, nach Gerechtigkeit und Objektivität des Urteils über Menschen und Geschehnisse.” (Bd. I, S. IX) Indem also vorsorglich die “Subjektivität” des Verfassers mit “Gerechtigkeit und Objektivität” erklärt und gleichgesetzt wird, soll der Kritik von vornherein der Boden entzogen werden. Als das Werk ein Jahr nach Bülows Ableben veröffentlicht wurde, waren die Zweifel des Verlages an Bülows Objektivität allerdings so ausgeprägt, dass man dem Vorwort des Herausgebers noch eine eigene Vorbemerkung hinzufügte, um sich von Bülows “Kritiken politischer Vorgänge und Charakteristiken einzelner Persönlichkeiten” (Bd. I, S. XV) ausdrücklich zu distanzieren.

Der Verlag sah sich vor allem durch Bülows Darstellung der Weimarer Republik zu dieser Distanzierung veranlasst, allerdings muss man auch diejenigen Teile des Werkes, die sich mit dem Kaiserreich beschäftigen, einer peniblen Quellenkritik unterziehen. Bülow ist ein guter Erzähler, der es versteht, den Leser mit einer Fülle von Details davon abzulenken, dass alle auftretenden Figuren letztlich als Folien dazu dienen, den Verfasser in einem positiven Licht erscheinen zu lassen. Ausgerechnet Bülows Förderer, Philipp Eulenburg, kommt dabei besonders schlecht weg. Bülow war zu geschickt, als dass er seine Freundschaft zu “Phili” geleugnet hätte, vielmehr proträtiert er sich als Opfer seiner Unwissenheit. Eulenburg wurde durch einen Skandal vernichtet, und Bülow stellt ihn im Nachhinein als üblen Intriganten dar (Bd. I, S. 224-227). Daran ist durchaus etwas Wahres, aber die Bedenkenlosigkeit, mit der Bülow den Mann, dem er in den 90er Jahren innigste Freundschaft bekundete, in den Schmutz zieht, spricht Bände.

Diese vier Bände enthalten zahlreiche interessante Details, auch einige Faksimile-Drucke originaler Schriftstücke, allerdings sollte man sie nur mit äußerster Vorsicht benutzen. “Poscimur” (“Man verlangt uns”, Horaz) steht als Motto auf dem Umschlag über dem Bülowschen Wappenschild. “Vanitas vanitatem” hätte auch gut gepasst.